Kündigungsschutz bei Massenentlassungen

Will ein Arbeitgeber in einem bestimmten Zeitraum eine größere Anzahl von Mitarbeitern entlassen, so hat er diesen Umstand zuvor der Agentur für Arbeit anzuzeigen, § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG. Die Anzeigepflicht richtet sich nach der Betriebsgröße und der Anzahl der im gleichen Zeitraum geplanten Entlassungen. Die Anzeigepflicht besteht, wenn innerhalb von 30 Kalendertagen

  • in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern > mehr als 5 Arbeitnehmer
  • in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern > 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehme
  • in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern > mindestens 30 Arbeitnehmer.

entlassen werden sollen.

Die Vorschriften zur Massenentlassung kommen somit nicht zur Anwendung, wenn im Betrieb regelmäßig nur bis zu 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden – selbst dann nicht, wenn mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Grenzwerte ist seit EuGH, 27.01.2005, C-188/03 nach ständiger BAG-Rechtsprechung der Ausspruch der Kündigung (zuletzt BAG, Urteil vom 21.03.2013, 2 AZR 60/12 – Rn 13), also nicht der Zeitpunkt der geplanten Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Fristlose Kündigungen werden dabei nicht mit eingerechnet, § 17 Abs. 4 S.2 KSchG.

Konsultationsverfahren

Ist im Unternehmen ein Betriebsrat vorhanden, muss ein so genanntes Konsultationsverfahren durchgeführt werden, § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Der Arbeitgeber ist aufgefordert, mit dem Betriebsrat (ggfs. dem Gesamtbetriebsrat) darüber zu beraten, wie sich die geplanten Entlassungen möglicher Weise noch vermeiden lassen und welche sozialen Maßnahmen ergriffen werden können. Das Konsultationsverfahren wird daher selbst bei einer geplanten Betriebsstilllegung nicht entbehrlich (BAG, Urteil vom 13.12.2012, 6 AZR 5/12 – Rn 47). Der Arbeitgeber hat dazu dem Betriebsrat

  • die Gründe für die geplanten Entlassungen,
  • die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
  • die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
  • den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die
  • vorgesehenen Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen.

schriftlich mitzuteilen. Für die äußere Form dieser Mitteilung sollte der Arbeitgeber sicherheitshalber die gesetzliche Schriftform (§ 126 BGB) einhalten; allerdings können Formverstöße geheilt werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Betriebsrat nach einer formlosen Unterrichtung eine Stellungnahme zur geplanten Massenentlassung abgibt (BAG, Urteil vom 20.09.2012 – 6 AZR 155/11– Rn 57).

Das

  • Konsultationsverfahren und die
  • Massenentlassungsanzeige

folgen jeweils eigenen Regelungen (BAG, Urteil vom 21.03.2013, 2 AZR 60/12 – Rn 28, BAG, Urteil vom 20.09.2012, 6 AZR 155/11 – Rn 44). Ist das Konsultationsverfahren oder die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft, so führt dieses jeweils für sich genommen zur Unwirksamkeit der nachfolgenden Kündigungen, (BAG, Urteil vom 26.02.2015, 2 AZR 955/13, Rn 31; BAG, Urteil vom 21.03.2013, 2 AZR 60/12 – Rn 19), was aus § 134 BGB folgt.

Rechtsprechung zum Konsultationsverfahren finden Sie hier

Massenentlassungsanzeige

Massenentlassungen sind vor Ausspruch der betriebsbedingten Kündigungen der Agentur für Arbeit anzuzeigen, § 17 Abs. 1 KSchG. Der Massenentlassungsanzeige ist die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Hat sich der Betriebsrat nicht erklärt, so muss der Arbeitgeber  stattdessen in der Anzeige glaubhaft machen, dass der Betriebsrat zwei Wochen zuvor über die Massenentlassung unterrichtet wurde und welchen Stand die Beratungen haben, § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG.

Im Insolvenzfall ersetzt ein Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats, § 125 Abs. 2 InsO. Fehlt es allerdings an einer Namensliste, so kann der Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats nicht ersetzen (BAG, Urteil vom 22.11.2012, 2 AZR 371/11 – Rn 18).

Eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige wird durch eine nachfolgende Kündigung verbraucht (BAG, Urteil vom 22.04.2010, 6 AZR 948/08 – Rn 14). Müssen die Kündigungen aus formalen Gründen wiederholt werden, so muss auch die Massenentlassungsanzeige wiederholt werden, anderenfalls sind die erneut ausgesprochenen Kündigungen unwirksam.

Hat der Arbeitgeber die Anzeige der Massentlassung unterlassen oder war die Anzeige unwirksam, ist eine Kündigung aus diesem Grund nichtig, § 134 BGB.

Eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige wird nicht durch einen positiven Bescheid der Agentur für Arbeit geheilt (BAG, Urteil vom 26.02.2015, 2 AZR 955/13, Rn 42; BAG, Urteil vom 28. 06.2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 70 ff.).

Fehler bei der Massenentlassungsanzeige muss der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage gerichtlich überprüfen lassen (LAG Hannover, Urteil vom 06.04.2009, 9 Sa 1297/08), anderenfalls wird die Kündigung wirksam.

Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeige finden Sie hier

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Rechtsprechung zu Massentlassungen