Krankheitsbedingte Kündigung

I.

Die krankheitsbedingte Kündigung ist der wichtigste Unterfall einer personenbedingten Kündigung. Generell gilt, dass eine Krankheit des Arbeitnehmers noch kein Kündigungsgrund ist, dass aber eine damit verbundene Arbeitsunfähigkeit und die daraus resultierenden Fehlzeiten eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können. Davon ist der Gesetzgeber in § 8 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ausgegangen. Eine genaue gesetzliche Definition der krankheitsbedingten Kündigung fehlt allerdings. In § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist nur die Rede von Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen.

Wann liegt eindeutig ein Kündigungsgrund vor? Eine krankheitsbedingte Kündigung ist zumindest immer dann sozial gerechtfertigt,

  • wenn eine dauernde Unfähigkeit zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung eingetreten ist und
  • eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit fehlt.

Von der Rechtsprechung wurde im Laufe der Zeit abgestufte Fallgruppen entwickelt, die im Ergebnis ebenfalls eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen. Die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung (das Vorliegen eines wirksamen Kündigungsgrundes) wird stets in drei Schritten geprüft:

  1. Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
  2. Negative Gesundheitsprognose
  3. Interessenabwägung

Diese drei Prüfschritte variieren allerdings danach, was im konkreten Einzelfall den Anlass für die Kündigung gegeben hat. Die Rechtsprechung hat insgesamt vier Fallgruppen herausgearbeitet, in denen eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist. Es sind diese

  • Die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
  • Eine lang anhaltende Erkrankung
  • Häufige Kurzerkrankungen
  • Krankheitsbedingte Minderleistung

Wie bereits erwähnt wird in den vier Fallgruppen die krankheitsbedingte Kündigung anhand der drei vorstehend genannten Prüfschritte kontrolliert. Dazu ist  ganz allgemein zu sagen:

Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen

Es müssen Fehlzeiten festzustellen sein, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen führen. Bei krankheitsbedingten Kündigungen sind dieses so genannte Betriebsablaufstörungen und / oder die Lohnfortzahlungskosten.

Negative Gesundheitsprognose

Die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung setzt eine negative Gesundheitsprognose voraus. Die Gesundheitsprognose fällt negativ aus, wenn im Zeitpunkt der Kündigung damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig krankheitsbedingt seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang erfüllen kann. Die weitere Entwicklung der Krankheit nach Ausspruch der Kündigung kann dann nicht mehr zur Bestätigung oder zur Widerlegung der getroffenen Prognose herangezogen werden (BAG, Urteil vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05; BAG, Urteil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06 – Rn 27).

Interessenabwägung

Liegen sowohl eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen als auch eine negative Gesundheitsprognose vor, sind schließlich noch die gegenseitigen Interessen am Bestand oder der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeneinander abzuwägen. Der Interessenabwägung kommt bei der krankheitsbedingten Kündigung besondere Bedeutung zu.

Wie generell für personenbedingte Kündigungen gilt auch für krankheitsbedingte Kündigungen das Ultima-Ratio-Prinzip. Die krankheitsbedingte Kündigung muss das letzte verbleibende Mittel zur Auflösung des Konfliktes sein. Daher hat der Arbeitgeber in Krankheitsfällen nach einem leidensgerechten Arbeitsplatz zu suchen. Unter Umständen ist er sogar gehalten, einen Arbeitsplatz im Wege seines Direktionsrechts freizumachen. Dagegen hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, dass ihm der Arbeitgeber einen höherwertigen Arbeitsplatz anbietet (BAG, Urteil vom 30.09.2010, 2 AZR 88/09 – Rn. 20; BAG, Urteil vom  23.02.2010,  2 AZR 656/08 – Rn. 40).

Beginnend mit seiner Entscheidung vom 12.07.2007 (BAG,  2 AZR 716/06 – Rn 29 ff.) hat das Bundesarbeitsgericht das Instrument des betrieblichen Eingliederungsmanagement entwickelt und schließlich für alle Arbeitsverhältnisse festgeschrieben  (dazu weiter unten noch ausführlicher).

II.

Zu den Besonderheiten in den vier Fallgruppen

Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung werden vier Fallgruppen unterschieden. Den drei skizzierten Prüfungsschritten kommt je nach Fallgruppe ein unterschiedliches Gewicht bzw. eine unterschiedliche Bedeutung zu.

1. Dauernde Arbeitsunfähigkeit

Bei der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit wird zunächst weiter danach differenziert, ob die dauernde Arbeitsunfähigkeit bereits feststeht oder ob eine Wiedergenesung noch ungewiss ist.

Stimmen beide Seiten darin überein, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung zukünftig seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, so ist – vorbehaltlich der Interessenabwägung – eine krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt (BAG Urteil vom 29.04.1999, 2 AZR 431/98).

Die Fälle, in denen eine Wiedergenesung ungewiss ist, sind der feststehenden dauernden Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt, wenn nicht innerhalb der nächsten 24 Monate mit einer anderen Prognose zu rechnen ist (BAG, Urteil vom 29.04.1999, 2 AZR 431/98; BAG, Urteil vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01; BAG, Urteil vom 19.04.2007, 2 AZR 239/06 – Rn 18; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.11.2007, 2 AZR 425/06 – Rn 15f.).

Aus Sicht des Arbeitnehmers lässt sich bei einer andauernden Arbeitsunfähigkeit eine krankheitsbedingte Kündigung nur dann verhindern, wenn ein anderer Arbeitsplatz – und sei es unter geänderten, leidensgerechten Arbeitsbedingungen – frei ist (BAG, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 1020/08 – Rn 15). Gegebenenfalls sind Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen (BAG, Urteil vom 28.02.1990; 2 AZR 401/89; BAG 07.02.1991, 2 AZR 205/90).

Rechtsprechung zur dauernden Arbeitsunfähigkeit

2. Lang andauernde Erkrankung / Langzeiterkrankung

Eine lang andauernde Erkrankung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie zum einen bereits länger als 6 Wochen andauert und zum anderen mit einer Genesung gerechnet wird (also keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit vorliegt).

Die lang andauernde Erkrankung führt in der Praxis bedingt durch die vorzunehmende Interessenabwägung eher selten zur Kündigung des Arbeitsvertrages. Zum einen halten sich für den Arbeitgeber die wirtschaftlichen Belastungen – anders als bei häufigen Kurzerkrankungen – durch die auf 6 Wochen begrenzte Lohnfortzahlungspflicht im Rahmen, zum anderen kann sich der Arbeitgeber auf eine lang andauernde Erkrankung besser einstellen als auf viele Kurzzeiterkrankungen. Bei einmaligen Schicksalsschlägen ist zudem vom Arbeitgeber größere Rücksichtnahme zu erwarten (LAG Köln, Urteil vom 31.03.2011, 6 Sa 1433/10 – Rn 17).

Schließlich kommt im Rahmen der Interessenabwägung dem betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX eine besondere Bedeutung zu.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist somit bedeutsam, wann eine lang andauernde Erkrankung in eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit übergeht – wie also diese beiden Fallgruppen gegeneinander abzugrenzen sind (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 21.05.1992, 2 AZR 399/91; BAG, Urteil von 18.01.2007, 2 AZR 759/05 – Rn 23ff.).
Rechtsprechung zu Langzeiterkrankungen

3. Häufige Kurzerkrankungen

Die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist die häufigste Variante einer krankheitsbedingten Kündigung. Grund für die krankheitsbedingte Kündigung sind die in der Summe erheblichen Lohnfortzahlungskosten, daneben gegebenenfalls Betriebsablaufstörungen. Eine feste Grenze, ab wie vielen Fehltagen die häufigen Kurzerkrankungen eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen, gibt es nicht. Unterste Grenze dürften 30 Arbeitstage sein, was wirtschaftlich betrachtet der Pflicht von 6 Wochen Lohnfortzahlung entspricht.
Rechtssprechung zu häufigen Kurzerkrankungen als Kündigungsgrund

4. Krankheitsbedingte Leistungsminderung

Auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Erkrankung nicht mehr die volle Arbeitsleistung erbringen kann, ist geeignet, eine krankheitsbedingten Kündigung sozial zu rechtfertigen. Mindestvoraussetzung ist, dass sich die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dauerhaft um mindestens ein Drittel (BAG, Urteil vom 26.09.1991, 2 AZR 132/91) verringert hat und dass nach Maßgabe der Interessenabwägung keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer besteht. Gegebenenfalls ist dem Arbeitgeber auch eine Teilzeitbeschäftigung zumutbar. Eine altersbedingte Abnahme der Leistungsfähigkeit muss der Arbeitgeber in der Regel hinnehmen. Sie berechtigt nicht zu einer krankheitsbedingten Kündigung.
Rechtsprechungsüberblick zur krankheitsbedingten Leistungsminderung

III.

Betriebliches Eingliederungsmanagement

War ein Arbeitnehmer an einem Stück oder bei häufigen Kurzerkrankungen nach zusammengerechneten Krankentagen (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 28; Urteil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06 – Rn. 34) insgesamt 6 Wochen lang krank, so hat der Arbeitgeber nach der Rückkehr des Arbeitnehmers ein so genanntes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, § 167 Abs. 2 SGB IX (bis 31.12.2017 § 84 SGB IX (alt)).

Die Annahme, ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei nur bei schwer behinderten Arbeitnehmern durchzuführen oder nur dann, wenn im Betrieb eine Interessenvertretung gemäß § 176 SGB IX als Ansprechpartner vorhanden ist, trifft nicht zu (BAG, Urteil vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 28),  wie das Bundesarbeitsgericht inzwischen mehrfach entschieden hat. Das Gebot des betrieblichen Eingliederungsmanagements gilt für alle Betriebe und für alle Mitarbeiter, auf die der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes anwendbar ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 – Rn 18).

> Erhöhte Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess

Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist keine Kündigungsvoraussetzung (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 38). Eine krankheitsbedingte Kündigung kann auch dann ausgesprochen werden, wenn vorher gar kein oder nur ein unzureichendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 – Rn 22). Allerdings hat der Arbeitgeber dann automatisch eine erhöhte Darlegungslast und Beweislast (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 27) im Kündigungsschutzprozess. Er muss darlegen, dass für den Arbeitnehmer keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen (BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 – Rn 21). Der Arbeitgeber darf dabei nicht pauschal erklären, er kenne keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze. Vielmehr sind alle denkbaren Alternativen zu prüfen und es ist im Einzelnen darzulegen, warum weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes noch eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht kommt (BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 19). Und selbst für den Fall, dass dem Arbeitnehmer keine anderen oder geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten werden können, hat das betriebliche Eingliederungsmanagement zumindest auch die Funktion, einen Rehabilitationsbedarf des Arbeitnehmers zu erkennen (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 47 ff.). Denn möglicher Weise können Rehabilitationsmaßnahmen helfen, Fehlzeiten zu reduzieren.

Es ist Sache des Arbeitgebers, von sich aus die Initiative für das betriebliche Eingliederungsmanagement zu ergreifen (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 31). Er muss seinem Arbeitnehmer die Ziele der Eingliederung erläutern und erklären, welche (ggfs. sensiblen) Daten dafür erhoben werden müssen (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rn. 32).  Hat sich der Arbeitnehmer geweigert, an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement teilzunehmen, so erübrigen sich damit weitere Darlegungen im Rahmen der Kündigungsschutzklage nur dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor ordnungsgemäß  über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagement sowie über die Art und den Umfang der dafür benötigten Daten aufgeklärt worden ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 – Rn 24).

Aus Sicht des Arbeitgebers empfiehlt es sich, diesen Punkt schriftlich zu dokumentieren.


Rechtsprechungsüberblick zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

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Hier finden Sie weitere Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung im Allgemeinen